Ich weiß nicht, wie eure Eltern drauf sind, aber jedesmal, wenn wir zu meinen Eltern fahren, oder die zu uns kommen, haben wir hinterher mehr Dinge als vorher. Der „Fütterinstinkt“ ist bei meinen recht ausgeprägt. 😉
Das bezieht sich nicht nur auf selbstgemachte Marmelade oder ähnliche leckere Sachen, sondern auch auf alle möglichen Gegenstände für den Haushalt. So auch heute wieder: Weil meine Eltern von ihrem Haus in eine kleinere Wohnung umgezogen sind, ist nicht mehr für alle Dinge Platz, so liebgewonnen sie auch sein mögen. So bin ich nun zu diesem wunderwunderschönen echten Setzkasten gekommen, den ich immer schon heiß und innig geliebt habe. *freu* In den wilden Siebziger Jahren, als wir Kinder noch klein waren, wurde er von meinen Eltern heldenhaft aus dem Staate Dänemark heraus geschmuggelt, und seither fleißig mit „Krimskrams“ befüllt.
Was vielleicht nicht alle wissen, ist, dass solche Setzkästen ursprünglich eine ganz andere Funktion hatten als nur dekorativ an der Wand zu hängen: Zu den Zeiten des Bleisatz wurden darin die einzelnen, aus Blei gegossenen Buchstaben aufbewahrt, die dann Buchstabe für Buchstabe im Druckstock zusammen gesetzt wurden, um dann, mit Farbe bestrichen, die Papierbögen damit zu bedrucken. Im Gegensatz zu späteren Nachbauten, die bis auf den heutigen Tag eigens als Wandschmuck hergestellt werden, handelt es sich bei diesem Schmuckstück um einen echten Setzkasten, was die Beschriftung am oberen Rand beweist:
Dank Wikipedia konnte ich erfahren, dass nonpareil (bzw. nonpareille) die damals kleinste, noch gut lesbare Schriftgröße war, die gerne für Taschenbücher etc. verwendet wurde. Mager bezieht sich auf die Dicke der Linien – hier also dünner -, Gill ist der Eigenname der Schrift, kursiv kennt man heute noch aus Office-Programmen, die Buchstaben standen also leicht schräg. Was die 8 heißt, weiß ich nicht genau; es könnte die Bezeichnung der Schriftgröße in Punkten sein, allerdings wäre es dann eine Petit, und keine Nonpareille, aber wer weiß…
Die schwarzen Dinger an der oberen Kante des Setzkastens sind die Griffe zum Herausziehen, denn damals hingen die natürlich nicht an der Wand, dann wären die Buchstaben ja rausgefallen, sondern wurden liegend aufbewahrt und benutzt, wie man an den Wikipedia-Bildern sehen kann.
Auch die Größe des Kastens weist auf seine Verwendung als „Brotschriftenkasten“ hin, er ist nämlich mit 83 x 53 cm recht ansehnlich, und enthält 129 Fächer. „Brotschrift“ deswegen, weil das die häufig genutzten Schriftarten waren, sozusagen eines der „Grundnahrungsmittel“ des Druckgewerbes. Im Gegensatz zu den sogenannten Schmuckschriften, die für kurze Texte wie Überschriften, Schilder etc. verwendet wurden, bei denen das dekorative Element im Vordergrund steht, nicht so sehr die Lesbarkeit, die bei längeren Texten wichtig ist.
Da ich selbst eine Lehre im Verlag gemacht habe, und mein Mann ein großer Typographie-Liebhaber ist, ist dieser Wandschmuck genau der Richtige für unser Heim und ich freue mich sehr darüber. 🙂
Manchmal frage ich mich sogar, ob dieser Setzkasten meinen beruflichen Weg irgendwie beeinflusst hat, denn ich fand ihn schon als kleines Kind äußerst interessant. 😉
… und die genannte Schrifttype »Gill« kennt man heute unter »Gill Sans«. Eine Schrift, die in den 30ern von Eric Gill geschnitten wurde und schon bald zur »Hausschrit« der Londoner Verkehrsbetriebe wurde, die bis heute die Gill Sans in einer speziellen Variante verwenden. http://www.100besteschriften.de/9_Gill+Sans+%5BUpdate%5D.html#a9