Inspiration en gros

Wenn ich mich nicht eigens dazu verabredet hätte, hätte ich bei dem Regenwetter und einer recht kurzen Nacht heute Morgen vermutlich nicht so gerne das kuschelige Bett verlassen. Aber die Aussicht auf nette Gesellschaft bei einem einmaligen Ereignis hat mir das Aufstehen dann doch sehr leicht gemacht.

An diesem Wochenende veranstaltet das Hamburger Opernhaus nämlich seinen jährlichen Kostümverkauf, bei dem nicht mehr benötigte Kostüme aus den letzten Produktionen verkauft werden.

Jeder, der sich irgendwie mit dem Anfertigen von Kostümen, für welche Zwecke auch immer, beschäftigt, kennt diesen Termin natürlich. Und in Zeiten, da so etwas auch bei Facebook etc. veröffentlicht wird, war zu erwarten, dass der Andrang entsprechend groß sein würde. Und so war es dann auch: (kurzer Ausschnitt der Warteschlange)

Trotz des Regenwetters war die Stimmung in der Schlange – die im Inneren des Gebäudes noch eine Treppe höher geht; dort steht man aber wenigstens warm und trocken – sehr entspannt. Auch im Inneren war es trotz des Andrangs jederzeit möglich, sich die Sachen etwas genauer anzusehen, und jeder ist zu einem Gespräch, einem Scherz, einem wohlwollenden Blick auf die Anprobe der anderen bereit. Im Gegensatz zu Events wie dem Holland Stoffmarkt, wo man teilweise froh sein kann, ohne blaue Flecken wieder aus dem Gewühl zu kommen, ging es hier erfreulich zivilisiert zu. Das liegt zum Teil vermutlich auch daran, dass der Einlass limitiert ist; wenn eine bestimmte Besuchergrenze erreicht ist, kommen neue Leute erst dann wieder hinein, sobald jemand anders die Räume verlässt. So ist es niemals proppevoll; aber auch ganz allgemein machte das „Künstlervolk“ jederzeit einen entspannten Eindruck. (Und keine Angst, die „normalen“ Menschen waren, von der Bekleidung her zu urteilen, in der deutlichen Überzahl. Muggels welcome!)

Jeder Herausgehende wird neugierig beäugt; einige trugen ihre Beute, wie z.B. ausgefallene Hüte, direkt am Körper und genossen das wohlwollende Feedback der wartenden Masse; viele hatten eine oder mehrere Tüten in der Hand, und blaue, prall gefüllte Müllsäcke waren die beliebteste Transportmethode.

Pro-Tipp: Bereits 30 bis 60 Minuten vor Öffnungszeit ankommen, sichert die Aussicht auf sofortigen Einlass bei Öffnung und die Möglichkeit, die besten Stücke abzugreifen. Bei schlechtem Wetter empfiehlt sich warme Kleidung und ein heißes Getränk im Thermosbecher für die Wartezeit. – Auf Schirme sollte man allerdings verzichten; die wartende Menge hatte immer viel Spaß an den Besuchern, die nach Verlassen noch einmal die Treppe hochgespurtet kamen, um ihren liegen gelassenen Schirm zu greifen. Oder das Kind…

Die Kleidungsstücke hängen auf zahlreichen Garderobenständern; nach „Themen“ geordnet, meist in mehr- bis zig-facher Ausfertigung. Die Mischung ist äußerst bunt: Von fertiger Kaufkleidung, die kaum oder wenig modifiziert ist (z.B. Eterna- und Seidensticker-Hemden), über Berufsbekleidung – zehn kanariengelbe Jogginghosen, anyone? – bis zu den ausgefallensten, handgefertigten großen Roben ist alles dabei.

Prinzessinnenkleider gibt es ebenso wie Bösewichter-Mäntel:

Folklore-Kleidung:

ebenso wie aufwendige Masken: (Kopf um 180 Grad drehen)

oder Taschen mit „Mehrwert“:

Und auch Stücke, bei denen ich mir noch nicht einmal vorstellen kann, was sie darstellen sollen und an welchem Körperteil sie getragen werden:

Bei den selbst angefertigten Stücken ist oft der Titel des Stücks und der Name der Rolle und des Schauspielers eingenäht, der es getragen hat. Bei einigen Teilen waren auch Zettel mit rudimentären Daten wie Brustumfang etc. angeheftet, bei den meisten Teilen jedoch nicht. Es sind auch Umkleiden vorhanden, so dass man jederzeit ein Teil anprobieren kann; auch Spiegel sind in den Räumen verteilt.

Pro-Tipp: Beim nächsten Mal ein Maßband mitnehmen!

Neben Kleidung gibt es auch zahlreiche Accessoires, wie Stulpen, Handschuhe, Mützen, BHs und andere Unterkleidung, Handtaschen und Schmuck. Auch Schuhe gibt es reichlich:

Wobei diese, genau wie die Kleidung auch, meist sehr deutliche Tragespuren aufweisen. Für die Ewigkeit sind diese Kostüme erkennbar nicht gemacht, und so mancher rohe Saum scheint der simplen Tatsache geschuldet zu sein, dass man das von den Rängen aus sowieso nicht genauer erkennen kann. Welche Illusionen eine Bühne, Licht und viel Make up doch so alles zaubern können!

Besonders beliebt und extrem schnell vergriffen (mittags war schon alles weg) waren die aufwendigen Masken/Hauben mit großen Hörnern aller Art. Die Sehnsucht nach einem starkem tierischem „Totem“ scheint durch alle Kulturen ungebrochen groß zu sein. Daneben gibt es zahlreiche weitere Masken von einfachster bis sehr aufwendiger Bauart, außerdem eine erkleckliche Anzahl an Perücken und Haarteilen. (Die in den meisten Fällen eine Wäsche und Neufrisur erfordern.) Auch hier ist viel Fertigware dabei, die man in jedem Karnevals-Laden finden kann, aber eben auch sehr interessante Eigenkreationen.

Wer nicht erwartet, einwandfreie, sauberste Ware mit handelsüblichen Kleidergrößen wie aus dem professionellen Kostümverleih zu finden, sondern sich auf das Unerwartete, Auffällige, Inspirierende einlässt, ist hier gut bedient. Was einen anspricht, sollte man auf jeden Fall einmal überwerfen und einen Blick in den Spiegel riskieren; man erlebt vielleicht eine positive Überraschung.

Neben fertiger Kleidung und Accessoires gibt es außerdem mehrere Kästen mit bunt gemischten Stoff-Rollen, sowie einige Bänder und andere Kurzwaren. Ich bin keine Expertin, aber mir schien, dass es all diese Stoffe auch bei den einschlägen Groß-Händlern wie Mahler oder Gädtke geben müsste – die vermutlich auch zu den Lieferanten des Opernhauses zählen? Auf die Preise habe ich darum nicht geachtet, da ich auch genug hier liegen habe; es dürfte etwas preiswerter sein als dort gekauft, dafür ist das Angebot natürlich eine Wundertüte.

Ich selbst bin mit € 2,50 für zwei Stulpen und ein Haarteil sehr preiswert davon gekommen; von den Kostümen hat mich tatsächlich kein einziges so angesprochen, dass ich mich spontan verliebt hätte. Diese Kleinteile haben in mir aber sofort die Inspiration neu entfacht, mir dazu passende Kostüme zu nähen, die sowieso schon seit längerem auf meiner inneren to-do-Liste stehen.

Jeder, ob mit oder ohne Tüte in der Hand, verlässt diesen Laden mit leuchtenden Augen; soviel kann ich, glaube ich, versprechen!

Ganz wichtiger Tipp zum Schluss: Nur Barzahlung! Die Preise reichen von € 0,50 bis in den mittleren dreistelligen Bereich.