Gammeliges in Schweden

Kurz vor Mittsommer inmitten von Schweden, nahe dem zweitgrößten See, dem Vättern. Während über 19.000 Fahrradverrückte, darunter auch mein Mann, 300 Kilometer am Stück fahren, habe ich mich nach einer angemessenen Beschäftigung für Strohwitwen umgesehen.

Zuerst hatte ich geplant, das Husqvarna-Museum ebendort zu besuchen, aber das wäre von unserem Stützpunkt in Motala aus über eine Stunde Fahrt gewesen. Dann stieß ich auf das näher gelegene „Gamla Linköping„, ein Freilichtmuseum, das eine schwedische Kleinstadt im Zustand von vor ca. 100 Jahren zeigt.

Die Häuser sind zu großen Teilen Originale, die in der Innenstadt ab- und ein paar Kilometer entfernt im Museumsviertel wieder aufgebaut wurden. Man bekommt also einen sehr guten Eindruck davon, wie es früher mal ausgesehen hat.

Teile der ehemaligen Straße „Pilens backe“ im alten Linköping

Viele sind auch heute noch bewohnt; man muss also ein bisschen vorsichtig sein und sollte nicht jedes offen stehende Gartentor gleich als Einladung verstehen. Viele Häuser sind aber auch als Museen für jedermann zugänglich.

Im 18. Jahrhundert wurde Linköping von einem schweren Brand heimgesucht, der bis auf zwei Gebäude alles zerstörte. Ich vermute, dass diese Gebäude, der Dom und das Schloss, aus Stein erbaut waren (oder sind?), wohingegen die üblichen schwedischen Gebäude ja traditionell aus Holz sind. (Die typische rote Farbe der Holzhäuser soll übrigens mWn die teuren roten Ziegel simulieren, die sich damals nur reiche Leute leisten konnten.) Daher macht es Sinn, dass im Freilichtmuseum auch ein Haus der Feuerwehr gewidmet ist. Was für eine Knochenarbeit das Löschen von Bränden damals noch mehr als heute war, kann man sich angesichts von handgezogenen Karren mit Lösch-Schläuchen und anderem schweren Gerät sehr gut vorstellen!

Im „Tryckerimuseum“ gibt es keine Zauberei zu sehen, sondern eine Druckerei. Dort gibt es auch ein ganz besonderes Papier zu kaufen:

„Use what you have“ auf Schwedisch

Ich war sehr früh im Museum angereist, und der erste Laden, der geöffnet hatte, stellte sich direkt als Volltreffer für meine Interessen heraus. Im unteren Stockwerk befanden sich bereits sehr interessante Dinge, die ich später noch vorstelle, und dann sah ich das Schild, das „Kläder“ im ersten Stock des Gebäudes annoncierte. Sollten das etwa…? Ja, waren sie! Ich war im schwedischen Kostümnäher-Paradies gelandet!

Auf den Bügeln und einem angrenzenden Tisch befand sich eine bunte Mischung mehr oder weniger typischer schwedischer Bekleidung; vom gebrauchten H&M-Leibchen bis zu Omas handgenähter Unterwäsche, oft noch mit dem aufgestickten Monogramm der ehemaligen Besitzer; von handgestrickter Kinderkleidung über Unmengen an Schürzen, von der handgenähten Pelzmütze bis zum lammfell-gefütterten Köper-Mantel, Gewicht ca. 10 Kilogramm, der seine ehemaligen (und künftigen) Besitzer bestimmt gut vor dem härtesten schwedischen Winter schützt! Viel zu entdecken, zu gucken, abzugucken, genauer zu untersuchen…

Die erkennbar handgenähte Unterwäsche entspricht mit ihren geraden Schnitten und Raffungen und den eingesetzten Keilen an strategischen Stellen zum Beispiel bis ins Kleinste der historischen Unterwäsche, die ich mir letztes Jahr angefertigt hatte. (Huch, da fehlt ja noch ein Bild und ein Bericht dazu. Irgendwann mal, wenn ich Zeit dafür habe…)

Neben fertiger Kleidung gab es auch einiges an Stoff und Kurzwaren für die Anfertigung zu kaufen. Es gab sehr dünnes schwedisches Leinen, das mit 150 Kronen den Meter, derzeit ca. € 16,50, auch nicht preiswerter als bei uns ist:

Dazu natürlich auch Schnittmuster:

sowie jede Menge Kurzwaren; teils alte Originale, teils neu Produziertes:

Gürtelschließen, Nähnadelbehälter und anderes
Garne, Werkzeug, Schnittmuster

Auch Korsett-Schnittmuster, Schließen, Federstahl etc. ist dort im Angebot, und ebenso die Accessoires, um ein Outfit zu komplettieren, wie Taschen, Hüte, Handschuhe:

Allerliebst! Fehlt „nur“ das passende Kleid…

Wer sich lieber mit dem entgegen gesetzten Ende beschäftigt, kann dort auch eine alte Sattlermaschine (nicht auf dem Foto) inklusive Werkzeug für die Anfertigung von Schuhen besichtigen:

Und natürlich gibt es auch die typischen schwedischen Clogs in allen Größen zu kaufen:

Auf der Vätternrundan gab es sogar mindestens einen Teilnehmer, der die ganze Strecke in diesen Schuhen gefahren ist. Hut ab!

Und außerdem, rätselhaft, Masken, wie man sie eher für einen venezianischen Karneval erwarten würde:

Vielleicht will der Händler auch nur ein möglichst großes Spektrum an Kostümnähern als Kunden gewinnen? Man hat nämlich auch geeignetes Zubehör für die immer größer werdende Schar der Steampunker im Angebot. Hier finden sich zum Beispiel neben Gerätschaften für naturwissenschaftliche Experimente auch die typischen Goggles:

Breaking Bad im 19. Jahrhundert?

sowie, nicht ganz so leicht zu erkennen, winzige Federwerke und andere Kleinteile aus dem Uhrenbau, die sich für Schmuck und Verzierung verwenden lassen:

In der Siedlung gibt es noch viele weitere Handwerksbetriebe, denen man zu den regulären Öffnungszeiten auch bei der Arbeit zuschauen kann, sowie viele Läden mit sehr schönem Kunsthandwerk. Von Kleidung und Accessoires über Keramikgeschirr bis zu Schmuck und Skulpturen ist für jeden etwas dabei. Aus Zeitmangel musste ich mich hier leider etwas beschränken und kann aus diesen Bereichen keine weiteren Fotos zeigen.

Für eine liebe Freundin gibt es aber noch einen Blick in ein allerliebstes Gewächshaus:

Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nur von weitem zu sehen sind diese beiden Mädchen, die mit großem Enthusiasmus ihre Piratenträume auslebten. Das Wort „niedlich“ trifft es hier nicht ganz:

Im Gegensatz dazu (?) fallen mir im schwedischen Stadtbild übrigens immer viele Männer mit Kinderwagen auf; mehr als hierzulande, habe ich den Eindruck. Und das nicht in Begleitung ihrer Frauen!

Als elegante Überleitung (gut, was?!) zum Anfang des Artikels gibt es hier dann noch ein altmodisches Fahrrad zu sehen, das dekorativ an einer Hauswand lehnte:

Die Begeisterungsfähigkeit der Schweden zur Vätternrundan haut einen jedes Mal wieder um. Mein Mann erzählt von Kleingruppen, die im tiefsten Wald campieren und die vorbei rasenden Radler mit lauten Heja-heja-Rufen anfeuern. Und wie man hier sieht, wird buchstäblich jede Rasenfläche, und sei sie auch mitten im Kreisverkehr, zur Ermunterung genutzt:

Schweden ist ja eigentlich recht weitläufig, aber hier wird jeder Quadratmeter bestmöglich ausgenutzt

Wer diese lange Fahrt überstanden hat, darf sich danach an der sehr hübschen See-Promenade ausruhen, mit Blick auf die vor kurzem fertig gestellte Brücke quer über die Mündung des Motala-Flusses:

Ein Gedanke zu „Gammeliges in Schweden“

  1. Also die Haekel-Handschuhe waeren bei mir ‚mitgegangen‘, denn die sind f. mich immer gut tauglich auch zu sogar moderneren Kostuemen f. offiziellere Treffen. Ueblicherweise schneide ich denen zwar die Finger ab, denn: ich brauche sie wirklich um ’stark ramponierte Gaertnerhaende‘ bei Bedarf damit wenigstens teilweise zu verstecken ^^. Kenne auch keine Hemmungen ‚punkigere‘ f. ’slightly more casual‘ zu nehmen, denn hier in Australien ist man immer ein wenig arg ‚iiiigitt, eine Wunde an etwas was ich anfassen muss (die Hand zum Begruessen z.B. ^^) – wenn diese nun mich besudelt?!‘ (augenroll; denn ansonsten sind die Menschen hier schwer in Ordnung!)
    Hab‘ noch viiiel Spass!

    LG, Gerlinde

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